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Vaterland und Muttersprache

Aufzuwachsen zwischen zwei Kulturen ist manchmal gar nicht so leicht. Es hat viele Annehmlichkeiten zwischen zwei Ländern hin- und herzureisen, wenn man noch klein ist und die Unterschiede sieht man dann noch gar nicht. Das kommt erst wenn man älter wird und doch hier und da anfängt Vergleiche anzustellen. Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich bilingual aufwachsen dürfte, aber in der Anfangszeit war das auch erstmal alles andere als schön. Es war sogar teilweise echt ganz schrecklich. Und je älter ich werde umso mehr sehe ich auch die Schattenseiten die eine derartige Situation mit sich bringt.

Ich bin gebürtige Polin. Damals geschlüpft in Danzig und diese Stadt ist einfach wunderschön. In den letzten zehn Jahren ist sie leider etwas zu sehr zu einer Touristenstadt geworden, aber dadurch hat sie an Schönheit nichts eingebüßt. Sie liegt direkt am Meer. Ich bin als Kind mit Sand und Strand und dem Meer direkt vor der Nase aufgewachsen. Als ich vier Jahre alt war, haben sich meine Eltern dazu entschieden das Land zu verlassen und ganz von vorne anzufangen. Finanziell ging es ihnen nicht gerade schlecht und sie konnten diesen Neuanfang auch ganz gut starten. Vor allem für ihre Kinder wollte sie eine sichere Zukunft. Nicht, dass man in Polen keine Zukunft hat, aber es ist tatsächlich etwas anders in diesem Land.

Eigentlich hat dieses Land keine wirkliche Mittelschicht, wenn ich das so ausdrücken darf. Vor Jahrzehnten fing es an, dass diese irgendwie ausstarb und bis heute hat sich diese Situation nur verschärft. Es gibt eigentlich nur eine reiche und eine arme Schicht. Die Menschen leben durchaus hier und da am absoluten Existenzlimit und auch mit einer tollen Ausbildung hat man noch lange nicht viel Geld. Abitur hat dort so ziemlich jeder und wenn man daran nicht ein Studium mit einem glänzenden Abschluss anhängen kann, dann hat man eigentlich schon recht schlechte Karten. Vielleicht liegt es auch daran, dass auch meine Cousins mütterlicherseits jetzt in England und Neuseeland und Japan wohnen, leben und arbeiten.

Meine Eltern hat es nach Deutschland verschlagen und dankbar bin ich ihnen dafür sehr. Tatsächlich habe ich hier Möglichkeiten, die ich dort nicht gehabt hätte. Nicht nur beruflich. Ja, mein Leben wäre sicher auch anders verlaufen, wären meine Eltern in diesem Land geblieben. Vielleicht hätte ich meine gesundheitlichen Probleme dann nicht gehabt, aber nehmen wir mal an, ich hätte sie dennoch gehabt! Ich hätte meine Eltern entweder zu ganz armen Menschen gemacht oder ich wäre bereits tot. Klinikaufenthalte und Therapien müssen da nämlich aus eigener Tasche gezahlt werden. Das Gesundheitssystem ist da ganz anders. Jedes Medikament, jeden Arztbesuch muss man selbst bezahlen. Ein kranker und nicht so wohlhabender Patient hat recht schlechte Aussichten. Aber das nur als Info.

Für ein kleines Kind in ein fremdes Land zu ziehen ist nicht immer so spektakulär, wie es klingt. Ich habe die erste Zeit hier sehr gelitten, da ich kein Wort verstanden habe. Das erste deutsche Wort, was ich kennenlernte war ELEFANT. Damit kommt man nicht weit!

Die erste Zeit im Kindergarten habe ich nur geweint. Ich sass immer in einer einsamen Ecke und war vollkommen isoliert. Mit zwei Dingen hatte ich wirklich Glück. Ich bin wohl recht sprachbegabt und ich hatte eine ganz großartige Kindergärtnerin, die sich meiner kleinen Kinderseele annahm und mir täglich nach und nach auf eine spielerische Art und Weise neue Begriffe beibrachte. Irgendwann konnte ich ganze Sätze sprechen und war damit sogar schon viel besser als meine Eltern, die sich in ihren Abendkursen durch die deutsche Grammatik durchquälten. Zuhause wurde dann aber doch stets polnisch gesprochen und das ist bis heute so. Verlernen will ich das auch gar nicht, aber ich beherrsche die deutsche Sprache heute sogar tatsächlich besser, als die polnische Sprache. Naja, ich lebe nun mal seit über zwanzig Jahren hier und spreche sie eben täglich. Die kulturellen Unterschiede merke ich aber auch immer wieder. Eigentlich ist das lustig, denn Polen ist das Land nebenan. Man müsste ja meinen, dass die Unterschiede gar nicht so gewaltig sind. Das sind sie auch nicht, aber sie sind doch spürbar. In meinem Geburtsland ist die oberste Regel:

Behandele jeden Menschen gleich!

Als Kind kriegt man das schon eingetrichtert:

Der Bettler auf der Straße ist ein wertvoller Mensch.

Niemand ist besser oder schlechter als du.

Wenn Hilfe erforderlich ist, dann helfe.

Wenn es Jemandem schlechter geht als dir, dann tue alles, was in deiner Macht steht um dieser Person zu helfen.

 

Diese Regeln existieren wirklich! So wird man da erzogen! An Weihnachten deckt man den Tisch immer für eine Person mehr, als nur für die Anwesenden, denn man könnte durch ein Fenster schauen und jemanden in Schneetreiben entdecken, den man an seinem Tisch einen Platz anbietet. Ich finde das manchmal sehr schön, aber auch anstrengend. Ich muss es leider zugeben. Ich erinnere mich noch an einen Vorfall, der mir das bewusst machte. Als mein Bruder sich mal von einer seiner Freundinnen getrennt hatte, meinte mein Vater zu ihm:

Das wars jetzt? Das kannst du mal schön vergessen. Du warst mit ihr zusammen und du hast nach wie vor eine Verantwortung. Du wirst nach wie vor alles dafür tun, dass es dem Mädchen gut geht, egal wie lange das braucht.

Mein Bruder hat sich daran gehalten. Er hat sie sogar mit ihrem jetzigen Freund zusammengebracht. Es gibt einfach Regeln:-)

Was positiv ist, gibt es auch im Negativen! Natürlich!

Vielleicht trifft es mich da etwas härter als meinen Bruder. Ich weiss es nicht?! Es ist in Polen nach wie vor so, dass Frauen viel früher Kinder bekommen, als hierzulande. Anfang zwanzig, Mitte zwanzig. Das ist da normal. Nicht, dass sie dann Hausfrauen werden und auf dem Verdienst ihrer Männer leben. Nein, ganz im Gegenteil. Sie sollen sowohl das eine wie auch das andere leisten. Sie studieren, sie machen eine Ausbildung und nebenbei haben sie halt auch ein Kind. Das ist nicht unnormal. Ich habe drei Cousinen, die alle schon Kinder haben und auch eine abgeschlossene Ausbildung oder ein fertiges Studium vorweisen können. Ich habe weder das eine noch das andere. Damit bin ich das schwarze Schaf. Es klingt zwar etwas hart, aber es ist wahr. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Cousine telefoniere, die nur drei Monate jünger ist und mittlerweile zwei kleine Jungs hat, muss ich mir anhören: Mia-Maus du machst da echt was falsch!

Vielleicht, vielleicht auch nicht! Ich kann nur sagen, dass es spannend ist zwischen den Kulturen und zwischen den Mentalitäten aufzuwachsen, aber es ist manchmal auch eben nicht so leicht zwischen den Kulturen und zwischen den Mentalitäten aufzuwachsen.

Und einen ganz gewaltigen Nachteil hat es sicher: Meine Großeltern sehe ich viel zu selten. Ich kann nicht mal schnell auf einen Besuch reinschauen, aber ich weiss sie haben stets ein Zimmer für mich mit Ausblick aufs Meer, auf Sand und auf Strand:-)

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