Ich grüße euch am heutigen Freitag:-)
Heute geht es in meinem kleinen Schreibatelier Mia weiter und zwar mit den Erzählperspektiven:-)
Bisher haben wir den auktorialen und den personalen Erzähler besprochen und heute machen wir weiter mit dem neutralen Erzähler und allem, was zu ihm gehört:-)
Bei dem neutralen Erzähler gilt immer auch das, was bei allen anderen Perspektiven der Fall ist: Der Schreiber bzw. der Autor ist nicht gleichzusetzen mit dem Erzähler!!!
Der neutrale Erzähler ist ein Beobachter, der fast unsichtbar im Hintergrund alles wahrnimmt und BEOBACHTET! Aus diesem Grund bezeichnen wir ihn auch als beobachtenden Erzähler!;-)
Er verschwindet so sehr im Hintergrund, dass der Leser ihn kaum, fast gar nicht, wahrnimmt.
Böse könnten wir fast behaupten, dass es sich beim neutralen Erzähler nicht wirklich um eine Erzählperspektive handelt. Das liegt eben daran, dass wir diese Perspektive beim Lesen am wenigste wahrnehmen.
Der neutrale Erzähler berichtet immer nur genau das, was wir von außen wahrnehmen können. Die Gedanken und Gefühle aller Figuren bleiben im Verborgenen, es sei denn, sie werden in wörtlicher Rede wiedergegeben. Der neutrale Erzähler wertet und kommentiert auch nicht! Der Leser wird also in keinster Form beeinflusst. Der Leser muss sich selbst ein Urteil über alles bilden.
Der neutrale Erzähler und seine Eigenschaften:
Dieser Erzähler ist eigentlich unsichtbar. Er urteilt nicht und er wertet nicht. Auf Rückblenden und Zeitsprünge wird ebenfalls verzichtet. Es gibt keinerlei Kommentare durch diesen Erzähler und er spricht den Leser auch nicht direkt an.
Dieser Erzähler weiß nicht mehr, als der Leser!!
Was schließen wir daraus?
Letztlich geht es also um szenische Darstellungen!
Der neutrale Erzähler darf auch nur wörtliche Rede benutzen und er darf letztlich dann auch nur erwähnen, ob das Gesagte gesprochen, geschrien oder geflüstert wird.
Der neutrale Erzähler und seine Wirkung und Verwendung:
Der neutrale Erzähler schaut nicht in die Köpfe der Figuren und weiß letztlich genau das, was auch der Leser weiß. Dieser Erzähler berichtet nur. Er ist sachlich und eben neutral:-)
Wer alle Wertungen des Geschehens einer Geschichte nur dem Leser überlasse möchte, der liegt mit dieser Erzählperspektive immer richtig.
Diese Erzählperspektive kann jedoch sehr schnell monoton wirken. Die Lebendigkeit ist gänzlich nicht vorhanden. Der Autor verzichtet bei dieser Perspektive auf fast alle Stilmittel, die es ihm ermöglichen Spannung zu erzeugen.
Diese Erzählperspektive wirkt zunächst einfach in der Darstellung, aber der Umgang mit dieser ist tatsächlich nicht ganz so einfach.
Diese Perspektive bietet sich wirklich nur an, wenn sich der Erzähler bezüglich eines Geschehens zurückziehen will, um dem Leser einzelne Szenen zur eigenen Wertung zu überlassen.
Der neutrale Erzähler im Gebrauch und als Beispiel:
Effi Briest (Theodor Fontane)
“Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall.”
“Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alte Jungfer.”
“Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du.”
“Meinetwegen. Denkst du, dass ich darauf warte? Das fehlte noch. Übrigens, ich kriege schon einen und vielleicht bald. Da ist mir nicht bange. Neulich erst hat mir der kleine Ventivegni von drüben gesagt: ‚Fräulein Effi, was gilt die Wette, wir sind hier noch in diesem Jahre zu Polterabend und Hochzeit.’”
“Und was sagtest du da?”
“’Wohl möglich‘, sagte ich, ‚wohl möglich; Hulda ist die Älteste und kann sich jeden Tag verheiraten.‘ Aber er wollte davon nichts wissen und sagte: ‚Nein, bei einer anderen jungen Dame, die geradeso brünett ist, wie Fräulein Hulda blond ist.‘ Und dabei sah er mich ganz ernsthaft an… Aber ich komme vom Hundertsten aufs Tausendste und vergesse die Geschichte.”
“Ja, du brichst immer wieder ab; am Ende willst du nicht.”
“Oh, ich will schon, aber freilich, ich breche immer wieder ab, weil es alles ein bisschen sonderbar ist, ja beinah romantisch.”
“Aber du sagtest doch, er sei Landrat.”
“Allerdings, Landrat. Und er heißt Geert von Innstetten, Baron von Innstetten.”
Alle drei lachten.
“Warum lacht ihr?” sagte Effi pikiert. “Was soll das heißen?”
“Ach, Effi, wir wollen dich ja nicht beleidigen und auch den Baron nicht. Innstetten, sagtest du? Und Geert? So heißt doch hier kein Mensch. Freilich, die adeligen Namen haben oft so was Komisches.”
“Ja, meine Liebe, das haben sie. Dafür sind es eben Adelige. Die dürfen sich das gönnen, und je weiter zurück, ich meine der Zeit nach, desto mehr dürfen sie sich’s gönnen. Aber davon versteht ihr nichts, was ihr mir nicht übel nehmen dürft. Wir bleiben doch gute Freunde. Geert von Innstetten also und Baron. Er ist geradeso alt wie Mama, auf den Tag.”
“Und wie alt ist denn eigentlich deine Mama?”
“Achtunddreißig.”
“Ein schönes Alter.”
Zu dieser Erzählperspektive haben wir nun genügend Einsicht bekommen, sodass es heute dazu keine direkte Fingerübung gibt. Diese Perspektive merken wir uns aber, wenn es später um das Theaterstück und das Drehbuch geht. Wer dennoch etwas üben möchte, der darf das Beispiel aus den letzten zwei Stunden benutzen und darf daraus einen Dialog zwischen Mutter und dem kleinen Jungen kreieren:-)
Ich wünsche euch viel Spaß und bis zum nächste Freitag:-)