Hallo an alle Kunstfreunde und Liebhaber der Künste!
Letzte Woche ging sie los! Die 11. Runde der #montagslyriker. Und unsere erste Teilnehmerin hat auch einen fulminanten Auftritt hingelegt. Sie hat uns in ihre lyrische Welt entführt und wir konnten mit ihr auf ihren Worten schweben.
Auch heute stehen mein werter Kollege Matthias Breimann und ich für euch bereit, um euch durch den Abend zu geleiten. Aber eigentlich sind wir ja nur hübsches Beiwerk, denn um uns geht es nicht. Auch heute Abend versüßt uns Caro Grimm den Abend. Allerdings wird es heute prosaisch. Denn heute widmen wir uns ihrer Prosa. Zwei Kurzgeschichten hat sie für uns mitgebracht. Also lehnt euch also zurück und schmökert. Lasst euch inspirieren und taucht heute mit ihr in ihre prosaische Welt ein. Denn es lohnt sich. Bei Caro sind die Sätze wohldurchdacht. Kein Wort zu viel und keins zu wenig. Und auch zwischen den Zeilen finden wir versteckte Botschaften.
Obwohl es heute um Prosa geht, wollen wir ihren Lyrikband erwähnen.
Sämtliche Einnahmen der Anthologie gehen komplett an die Stiftung “Denk an mich” in der Schweiz, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen und ihnen Ferien- und Freizeitaktivitäten zu ermöglichen.
Und nun wollen wir euch nicht länger hinhalten und euch lesen lassen.
Dankeschön an Caro, die uns heute Abend ihre Texte zur Verfügung stellt.
Wieder einmal
Sie hatten wieder gestritten.
Es war nicht das erste Mal, in letzter Zeit geschah es
immer häufiger. Die Episoden aus Bitterkeit und Vorwürfen
wechselten mit Tagen des Schweigens.
Ein Schweigen, das jedes Mal durch ihre Haut drang, sich
schwer und unnachgiebig um ihr Herz legte. So schwer, dass
sie irgendwann nicht wusste, wie sie es brechen sollte. Es
hielt ihre Zunge fest am Gaumen, trieb die Worte weit in ihr
Innerstes.
Meist war sie diejenige, die das Schweigen brach. Mit
aller Kraft zwang, ja zerrte sie Worte hervor, ließ sie in
sich verharren und warten. Dann ganz vorsichtig, unendlich
zaghaft, tänzelte sie um ihn herum, drehte die erzwungenen
Worte hin und her, schmeckte sie auf ihrer Zunge, kostete
sie aus. Unterschied zwischen bitter, salzig, süß und
versuchte zu erahnen, welche Komposition welche Art von
Konsequenzen heraufbeschwören könnte.
Sie tat sich schwer, unglaublich schwer.
Denn jedes Mal, wenn sie stritten, war sie sich
hundertprozentig sicher, dass sie im Recht war. Sie wusste
es einfach.
Doch wenn es dann soweit war, das Gefecht die Luft um sie
zum Knistern brachte, ihre Wangen vor Hitze pulsierten und
ihr Herz stolperte … dann sah er sie jedes Mal so an. Der
Blick ruhig und distanziert, als lägen Universen zwischen
ihnen und nicht bloß zwei Sofakissen. Er zog die Augenbrauen
hoch, die Mundwinkel leicht erhoben und starrte sie nieder.
Sie war eine Frau, die sich nie etwas gefallen ließ, die für
sich und andere einstand.
Aber wenn sie stritten … war sie nichts.
Sie war klein, so unendlich klein.
Ihre Meinung zählte nicht.
Das tat sie nie.
Ihre Worte, die sie sorgsam ausgewählt, in ihren Gedanken
immer wieder gesprochen hatte, perlten von ihm ab, sammelten
sich als Pfütze unter seinen Händen, wurden neu geformt und
präzise in ihr Herz gestoßen.
Er ließ sie wissen, dass sie irrte. Dass ihre Meinung
lächerlich war und eigentlich … eigentlich war sie
diejenige, die an allem schuld war. Immer.
Und dennoch tänzelte sie nach jedem Streit um ihn herum.
Sie konnte nicht anders, wie die Motte das Licht, so
suchte sie seine Aufmerksamkeit und seine Zuneigung.
Bestätigung.
Der Kreislauf wiederholte und wiederholte und wiederholte
sich. Und mit jedem Streit, jeder Träne, die sie vergossen
hatte, ging auch ein Stück Gefühl dahin. Gefühle für ihn und
für sich und alles um sie herum.
Sie hatten wieder gestritten.
Sie saß im Schlafzimmer, er war unterwegs.
Und weinen … konnte die seit einer ganzen Weile nicht
mehr.
»Du fehlst mir.«
»Ich weiß.« Ihre Worte waren ein kaum wahrnehmbares
Flüstern. Ein Säuseln im Wind. Ein Rascheln im roten Laub um
ihn. Und doch konnte er sie laut und deutlich hören. Er
hörte sie in seinem Herzen, denn es verstand noch immer die
Sprache ihres Herzens.
»Eigentlich«, setzte er an und pflückte eines der roten
Blätter von der Erde, strich darüber, bewunderte die feine
Struktur. »Eigentlich ist es mehr als das. Es fühlt sich an,
wie die komplette Abwesenheit des Seins. Wie kann ich
existieren, wenn du nicht bei mir bist? Wie kann meine Seele
atmen, wenn sie ihr Gegenstück nicht mehr um sich weiß? Es
ist wie …« Er seufzte und suchte nach dem passenden Wort.
Wie beschrieb man einen Verlust, der einen innerlich
zerriss? Der einem körperliche Pein bescherte, einem die
Luft abschnürte und vor Kummer schreien ließ?
»Seelenschnitt«, hauchte sie, lehnte ihren Kopf an seine
Schulter und blickte zu ihm auf. Ihr graues Haar umfloss
sein schwarzes. Seine grauen Augen verschmolzen mit ihren
schwarzen.
Da war so viel Liebe. Jahrtausende davon.
Jahrtausende, in denen sie eins gewesen waren und
gleichzeitig auch nicht. Nicht, wie die Seiten einer
Medaille. Eher wie die Sterne, die von der Nacht umarmt
wurden. Wie der Fluss, der ins Meer mündete.
Gleich und ungleich.
So viel Leben, ausgelöscht innerhalb eines Wimpernschlags.
»Gräme dich nicht, Nox. Es wird besser werden.«
Er lachte hart auf, die Bitterkeit legte sich schwer um
sein Herz, drückte es, stach hinein, zersetzte es Stück für
Stück. »Du bist hier. Und gleichzeitig bist du es nicht.
Deine Nähe schmerzt und dennoch kann ich dich nicht gehen
lassen. Wie soll es jemals besser werden?«
»Du weißt wie. Ich vergehe. Dies ist mein letzter Besuch.«
Nox atmete zitternd aus, grub die Finger in den Boden des
Hains. Die Erde legte sich kühl und feucht auf seine Haut
und einen kurzen Moment überlegte er, wie es wäre, sich
niederzulegen und niemals mehr aufzustehen.
„Twyla. Ich kann nicht ohne dich sein. Ich werde nicht
ohne dich sein.«
Twyla erhob sich, das Sonnenlicht brach sich in ihrer
Erscheinung, umhüllte sie wie Funken purer Magie. Sie
schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das ihre Augen nicht
erreichte.
»Was willst du also tun, Schwarzer Gott?«