Montagslyriker 11. Caro Grimm_LESERUNDE

Hallo an alle Kunstfreunde und Liebhaber der Künste!

Letzte Woche ging sie los! Die 11. Runde der #montagslyriker. Und unsere erste Teilnehmerin hat auch einen fulminanten Auftritt hingelegt. Sie hat uns in ihre lyrische Welt entführt und wir konnten mit ihr auf ihren Worten schweben. 

Auch heute stehen mein werter Kollege Matthias Breimann und ich für euch bereit, um euch durch den Abend zu geleiten. Aber eigentlich sind wir ja nur hübsches Beiwerk, denn um uns geht es nicht. Auch heute Abend versüßt uns Caro Grimm den Abend. Allerdings wird es heute prosaisch. Denn heute widmen wir uns ihrer Prosa. Zwei Kurzgeschichten hat sie für uns mitgebracht. Also lehnt euch also zurück und schmökert. Lasst euch inspirieren und taucht heute mit ihr in ihre prosaische Welt ein. Denn es lohnt sich. Bei Caro sind die Sätze wohldurchdacht. Kein Wort zu viel und keins zu wenig. Und auch zwischen den Zeilen finden wir versteckte Botschaften. 

Obwohl es heute um Prosa geht, wollen wir ihren Lyrikband erwähnen.

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Sämtliche Einnahmen der Anthologie gehen komplett an die Stiftung “Denk an mich” in der Schweiz, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen und ihnen Ferien- und Freizeitaktivitäten zu ermöglichen.

Und nun wollen wir euch nicht länger hinhalten und euch lesen lassen.

Dankeschön an Caro, die uns heute Abend ihre Texte zur Verfügung stellt.

Caro Grimm Instagram

 

Wieder einmal

Sie hatten wieder gestritten.

Es war nicht das erste Mal, in letzter Zeit geschah es

immer häufiger. Die Episoden aus Bitterkeit und Vorwürfen

wechselten mit Tagen des Schweigens.

Ein Schweigen, das jedes Mal durch ihre Haut drang, sich

schwer und unnachgiebig um ihr Herz legte. So schwer, dass

sie irgendwann nicht wusste, wie sie es brechen sollte. Es

hielt ihre Zunge fest am Gaumen, trieb die Worte weit in ihr

Innerstes.

Meist war sie diejenige, die das Schweigen brach. Mit

aller Kraft zwang, ja zerrte sie Worte hervor, ließ sie in

sich verharren und warten. Dann ganz vorsichtig, unendlich

zaghaft, tänzelte sie um ihn herum, drehte die erzwungenen

Worte hin und her, schmeckte sie auf ihrer Zunge, kostete

sie aus. Unterschied zwischen bitter, salzig, süß und

versuchte zu erahnen, welche Komposition welche Art von

Konsequenzen heraufbeschwören könnte.

Sie tat sich schwer, unglaublich schwer.

Denn jedes Mal, wenn sie stritten, war sie sich

hundertprozentig sicher, dass sie im Recht war. Sie wusste

es einfach.

Doch wenn es dann soweit war, das Gefecht die Luft um sie

zum Knistern brachte, ihre Wangen vor Hitze pulsierten und

ihr Herz stolperte … dann sah er sie jedes Mal so an. Der

Blick ruhig und distanziert, als lägen Universen zwischen

ihnen und nicht bloß zwei Sofakissen. Er zog die Augenbrauen

hoch, die Mundwinkel leicht erhoben und starrte sie nieder.

Sie war eine Frau, die sich nie etwas gefallen ließ, die für

sich und andere einstand.

Aber wenn sie stritten … war sie nichts.

Sie war klein, so unendlich klein.

Ihre Meinung zählte nicht.

Das tat sie nie.

Ihre Worte, die sie sorgsam ausgewählt, in ihren Gedanken

immer wieder gesprochen hatte, perlten von ihm ab, sammelten

sich als Pfütze unter seinen Händen, wurden neu geformt und

präzise in ihr Herz gestoßen.

Er ließ sie wissen, dass sie irrte. Dass ihre Meinung

lächerlich war und eigentlich … eigentlich war sie

diejenige, die an allem schuld war. Immer.

Und dennoch tänzelte sie nach jedem Streit um ihn herum.

Sie konnte nicht anders, wie die Motte das Licht, so

suchte sie seine Aufmerksamkeit und seine Zuneigung.

Bestätigung.

Der Kreislauf wiederholte und wiederholte und wiederholte

sich. Und mit jedem Streit, jeder Träne, die sie vergossen

hatte, ging auch ein Stück Gefühl dahin. Gefühle für ihn und

für sich und alles um sie herum.

Sie hatten wieder gestritten.

Sie saß im Schlafzimmer, er war unterwegs.

Und weinen … konnte die seit einer ganzen Weile nicht

mehr.

 

 

 

Seelenschnitt

»Du fehlst mir.«

»Ich weiß.« Ihre Worte waren ein kaum wahrnehmbares

Flüstern. Ein Säuseln im Wind. Ein Rascheln im roten Laub um

ihn. Und doch konnte er sie laut und deutlich hören. Er

hörte sie in seinem Herzen, denn es verstand noch immer die

Sprache ihres Herzens.

»Eigentlich«, setzte er an und pflückte eines der roten

Blätter von der Erde, strich darüber, bewunderte die feine

Struktur. »Eigentlich ist es mehr als das. Es fühlt sich an,

wie die komplette Abwesenheit des Seins. Wie kann ich

existieren, wenn du nicht bei mir bist? Wie kann meine Seele

atmen, wenn sie ihr Gegenstück nicht mehr um sich weiß? Es

ist wie …« Er seufzte und suchte nach dem passenden Wort.

Wie beschrieb man einen Verlust, der einen innerlich

zerriss? Der einem körperliche Pein bescherte, einem die

Luft abschnürte und vor Kummer schreien ließ?

»Seelenschnitt«, hauchte sie, lehnte ihren Kopf an seine

Schulter und blickte zu ihm auf. Ihr graues Haar umfloss

sein schwarzes. Seine grauen Augen verschmolzen mit ihren

schwarzen.

Da war so viel Liebe. Jahrtausende davon.

Jahrtausende, in denen sie eins gewesen waren und

gleichzeitig auch nicht. Nicht, wie die Seiten einer

Medaille. Eher wie die Sterne, die von der Nacht umarmt

wurden. Wie der Fluss, der ins Meer mündete.

Gleich und ungleich.

So viel Leben, ausgelöscht innerhalb eines Wimpernschlags.

»Gräme dich nicht, Nox. Es wird besser werden.«

Er lachte hart auf, die Bitterkeit legte sich schwer um

sein Herz, drückte es, stach hinein, zersetzte es Stück für

Stück. »Du bist hier. Und gleichzeitig bist du es nicht.

Deine Nähe schmerzt und dennoch kann ich dich nicht gehen

lassen. Wie soll es jemals besser werden?«

»Du weißt wie. Ich vergehe. Dies ist mein letzter Besuch.«

Nox atmete zitternd aus, grub die Finger in den Boden des

Hains. Die Erde legte sich kühl und feucht auf seine Haut

und einen kurzen Moment überlegte er, wie es wäre, sich

niederzulegen und niemals mehr aufzustehen.

„Twyla. Ich kann nicht ohne dich sein. Ich werde nicht

ohne dich sein.«

Twyla erhob sich, das Sonnenlicht brach sich in ihrer

Erscheinung, umhüllte sie wie Funken purer Magie. Sie

schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das ihre Augen nicht

erreichte.

»Was willst du also tun, Schwarzer Gott?«

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