Liebe

Liebesbrief von Paula Modersohn-Becker an Otto Modersohn

Bremen, 26. Dezember 1900

Wie hast Du mir süss geschrieben, Du! Dein Brief war wie ein weiches Kosen deiner Hände. Und ich hielt mich dir hin und liess es mir so gerne gefallen. Wie ist doch die Liebe so ein seltsam Ding. Wie wohnt sie in uns und ruht sie in uns und nimmt Besitz von jedem Fäserlein unseres Körpers. Und hüllt sich ein in unsere Seele und bedeckt sie mit Küssen. Das Leben ist ein Wunder. Es kommt über mich, dass ich oftmals die Augen schliessen muss, wenn Du mich in Armen hälst. Es überrieselt mich und durchleuchtet mich und schlägt in mir satte verhaltene Farben an, dass ich zittere. Ich habe ein wundervolles Gefühl der Welt gegenüber. Lass sie treiben, was sie will, und hinken statt tanzen, so viel sie will, und schreien statt singen, so viel sie will. Ich gehe an Deiner Seite und führe Dich an der Hand. Und unsere Hände kennen sich und lieben sich und ihnen ist wohl.

So zwei sich lieben von ganzem Herzen,
Sie können ertragen der Trennung Schmerzen.
So zwei sich lieben von ganzer Seele,
Sie müssen leiden des Himmels Befehle.
So zwei sich lieben mit Gottesflammen,
Geschieht ein Wunder und bringt sie zusammen.

Und bei uns geschieht das Wunder! Wir sehen uns wieder trotz des Abschieds in der kleinen Vogeler-Bibliothek. Und bald, mein Schatz, bald. Komm, wann du willst, Lieber. Komm Silvester oder komm am zweiten, mache es ganz, wie du wünschest, ich finde alles gut.

Ich habe das wundervolle Gefühl, als ob in dieser Zeit der Trennung unsere Liebe geläutert und durchseelter würde. Das erfüllt mich mit einer dankbaren Frömmigkeit gegen das Weltall. Mein König Roter! Ich bin das Mägdelein, das Dich liebt, und das sich Dir schenkt und dessen Scham vor Dir gebrochen liegt und zerronnen ist wie ein Traum. Und das ist meine Demut, Lieber, dass ich mich gebe, wie ich bin und in Deine Hände lege und rufe: Hier bin ich.

So sei es bis an unseres Lebens Ende. Lass Dir leise den Rotbart streicheln und empfange einen Kuss auf jede Wange und dann nimm meine Seele auf und trinke sie. Trinke sie in einem heissen Kuss der Liebe. Ich bin immer Dein.

 

Liebesbrief von Paula Modersohn-Becker an Otto Modersohn

Bremen, 28. Dezember 1900

Es ist Mitternacht, und eigentlich müsste ich zu Bett. Ich sehne mich aber
nach etwas Tiefem, Klarem, Ganzem. Dann komme ich noch ein wenig zu
Dir trotz Nacht und Finsternissen. Die Zeit beginnt, dass die Stadt mir wieder
über den Kopf wächst, dass sie mich einengt und totdrückt. Diese halben
Menschen und Menschlein halbieren mich allmählich und hauen mich in
kleine Stücke. Und ich will nicht halb sein, ich will ganz sein. Ich komme nicht
zu mir selber hier. Ich höre meine Seele nicht reden und antworten. Das
Schönste findet nicht mehr den Weg zu ihr. Ob mir wohl morgen ein
Brieflein von Dir zum Morgenkaffee winkt? Das ist immer so entzückend,
wenn ich es den ganzen Tag in der Tasche knittern fühle. Und Du, mein
Lieber? Findest Du Dich immer noch artig lieb mit der Welt ab? Rauchst
Du immer noch Dein Pfeiflein in Frieden? Ich wünsch es Dir und den
Deinen. Doch nun ganz schnell zu Bett. Dies war eben nur ein Epistelchen,
ein Seufzerpistelchen und müdes Epistelchen. Lieber, ich habe jetzt die
Bismarckbriefe und lese sie. Sind die schön! Eigentlich zu schön für
einen, wir müssen sie zusammen lesen. Gute Nacht, mein Roter, ich
denke zärtlich Dein und küsse Dich.

Liebesbrief von Paula Modersohn-Becker an Otto Modersohn

Worpswede, 4. November 1902

Mein geliebter Mann,
dies ist nun der erste Abend der ersten grösseren Trennung in unserer Ehe.
Es gibt mir ein eigenes Gefühl. Du, in Gesellschaft Deiner Familie, kommst
vielleicht gar nicht so zum Bewusstsein dessen. Ich schwelge darin. Schwelg
in meiner Einsamkeit, Deiner Liebe gedenkend.
Unserer Liebe gedenkend, wanderte ich heute Abend durch die finsterfeuchte
Luft nach Hause und hielt innerlich Zwiegespräch mit mir. Ich habe eine grossse
Sicherheit in unserer Liebe und zu unserer Liebe, und als ich heute so ging,
durchfuhr mich ein atemloses Glücksgefühl, denn ich gedachte, dass uns der
Höhepunkt noch vorbehalten ist. Sieh, Lieber, Du brauchst nicht traurig zu sein
oder eifersüchtig auf meine Gedanken, wenn ich meine Einsamkeit liebe.
Ich tue es, um still und ungestört und fromm Deiner zu gedenken.
Die Heimkehr zu unseren Birken war lieblich, alles unter dem sanften Schleier
Deines Fernseins gesehen. Man ist eben doch schon ein Stück von dem andern
und der andere ein Stück von einem. Ich lebe in Dir sehr, das fühle ich. Aber
die Trennung ist mir lieb, weil sie dieses Ineinanderleben zu einem seelischen
macht. Ich liebe das zeitweilige Zurücktreten des Körpers …
Lieber, liebe mich, wenn ich auch ungereimt bin. Ich meine es doch so.

10 Gedanken zu „Liebe

  1. Mein lieber Freund,

    die Zeit meint es nunmehr gut mit mir. Sie erweist sich mir gegenüber als gnädig, so dass ich hier und jetzt meinem Versäumnis nachkomme und folgende Worte an Dich richte.

    Zum wiederholten Male möchte ich mit meinigen Worten zum Ausdruck bringen, wie sehr es mich mit Ehre erfüllt, als ein Teil Deines Seins zu leben. Und dennoch, es stürzt mich in tiefste Trauer, dass ….

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